Leseprobe: TMC 1

Kapitel 1

Ethan

Mit einer schnellen Bewegung klatschten Blut und Körpermasse auf den Boden. Die Klinge schimmerte rötlich. Ethan ließ es in das Holster rutschen, das er auf dem Rücken trug und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Die warme, schmierige Flüssigkeit verteilte sich auf seiner Haut. Er atmete den metallischen Geruch des Blutes tief ein, ehe er auf seine Finger heruntersah. Ein paar Hautfetzen hingen an seinen Handschuhen. Er schüttelte sie ab. Was andere von Übelkeit übermannt werden ließ, brachte ihn dazu, zufrieden zu lächeln. Inmitten von gut zwei Dutzend langsam zergehender Leichen zu stehen, war für ihn wie Weihnachten. Es bescherte ihm ein Hochgefühl, für das Worte nicht ausreichten. Man musste es gefühlt haben, um es zu verstehen.
Er wischte seine Hände an seiner triefenden Lederjacke ab und legte den Kopf in den Nacken. Das hier war, neben Sex, die beste Sache auf der Welt. Wie sahen die Aufträge aus, die richtig Spaß machten, wenn irgendwas ihm schon Glücksmomente bescherte? Langsam drehte er sich um seine eigene Achse, ehe er sich in Bewegung setzte und über die zerfallenden Körper hinwegstieg. Er ließ es sich nicht nehmen, mit den schweren Boots gegen die Überreste zu treten. Seine Stiefelspitze kollidierte mit einem Schädel und schickte ihn rollend einige Meter über den Asphalt. Er hinterließ eine Spur aus bläulich schimmernden schwarzen Blut, bevor er liegen blieb. Leere Augenhöhlen starrte Ethan an.
»Hast auch schon bessere Tage gesehen, was?«, lachte er und trat den Schädel aus dem Weg, als er auf sein Bike zuging, das er in nicht allzu weiter Entfernung abgestellt hatte. Daneben befand sich die einzige Telefonzelle, die noch in diesem Distrikt am Netz angeschlossen war. Ethan zog die Tür auf, lehnte sich gegen die blinde Scheibe und warf eine Münze in den Schlitz, bevor er die Nummer wählte.
»Meastra’s Cleaning Service. Sie sprechen mit Ania, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, meldete sich die Sekretärin und er schüttelte amüsiert den Kopf.
»Ich bin’s, Ethan. Der Job ist erledigt«, teilte er mit und fuhr sich durch das feuchte, braune Haar. »Kümmerst dich um die Bezahlung?«
»Ich werde den Auftraggeber sogleich in Kenntnis setzen. Ist alles gut bei dir?«
»Ging mir nie besser.« Er meinte, was er sagte. Es war überraschend, wie befreit er sich fühlte. Als würde seit Monaten wieder Sauerstoff seine Lungen füllen. »Alles noch dran. Sag Vassago, dass ich morgen reinkomme, um den neuen Auftrag abzuholen.«
»Alles klar«, flötete Ania freundlich zurück und beendete den Anruf mit einem leisen ‘Bis Morgen’.
Ethan hing den grauen Telefonhörer zurück an die Station und sah über seine Schulter hinweg zu dem Platz, auf gerade noch Überreste auf der Straße gelegen hatten. Bis auf ein paar dunkle Flecken war nichts mehr zu sehen.

Einen Tag zuvor

Ethans Blick fixierte die Frau um die Dreißig, die ihm gegenüber in dem massiven, antiken Stuhl saß. Sie machte den Anschein, als würde sie ihre Füße auf den Tisch legen wollen. Ihr kupferfarbenes Haar thronte einem brennenden Heiligenschein gleich über ihrem Kopf. Er sah seine Reflexion in ihren Brillengläsern. Stechend graue Augen blickten ihn an, bohrten sich in seine und tief in die Seele. Egal, was sie suchte, sie würde es bei ihm nicht finden. »Sag, Junge«, begann sie und verschränkte die Arme vor der flachen Brust, »was willst du hier?« Ihre Stimme war ein tiefes, rauchiges Dröhnen und die Zigarettenstummel in dem überquellenden Aschenbecher, sowie der Geruch von kaltem Rauch im Raum signalisierten ihm den Grund dafür. Das gesamte Büro war eine einzige Ansammlung an scheinbar antikem Scheiß und Sperrmüllmöbeln. Und inmitten dessen saß er. Schweigend. Wartend. Sie lehnte sich tiefer in die blauen Polster ihres Stuhls und legte den Kopf leicht zur Seite, ehe sie die Augenbrauen hob.
Was wollte er? In diesem Büro? Bei dieser Frau? Er war nicht wahllos zu dieser Adresse gefahren. Es gab kaum Orte, an die jemand wie er gehen konnte. Das war aber nicht der Grund. Er könnte an jeder Ecke der Stadt einen Job finden, sein Leben finanzieren und die Jahre verstreichen lassen, ohne sich die Hände dreckig zu machen. Die Frage war nur: Wollte er das?
»Du siehst nicht aus, als wäre deine Existenz komplett gescheitert. Das hier ist nicht der letzte Ausweg für dich, um an Arbeit zu kommen.«
Ein schmales, amüsiertes Lächeln legte sich auf seine Lippen. »Ich passe nicht in das normale Leben«, antwortete er ihr selbstsicher und spielte gelangweilt mit einer Schnalle seiner Lederjacke. Er musste seine Hände beschäftigen – eine alte Angewohnheit, um das Kribbeln zu verjagen.
»Meine Mitarbeiterin kann dir eine Adressliste geben. Es gibt für jeden einen passenden Job.«
Er lachte auf. »Nicht für jeden.« Das sollte seine Gesprächspartnerin auch wissen. »Oder würden Sie vor jemanden kriechen und tagtäglich etwas tun, was Sie nicht … ja, erfüllt?«, hakte er nach und musterte sie. Die Frau ihm gegenüber war zum Führen geboren. Ihre harsche, befehlende Tonlage, die überlegene Haltung – jemand von ihrem Kaliber würde in einem normalen Job eingehen wie ein Fisch ohne Wasser. »Ich will diese Stelle. Diese, und keine andere.«
»Warum, zum Teufel?«, fragte sie und lehnte sich nun vor, um die Arme auf dem Schreibtisch zu verschränken und ihn anzusehen. »Hier zu arbeiten, heißt, auf die Fresse zu bekommen – jedes Mal, wenn du rausgehst«, erklärte sie und ihr Blick verriet ihm, dass sie sich bewusst darüber war, dass ihre Bemühungen, ihm diese Idee auszureden, im Nichts enden würden. »Es ist dreckig. Du kannst jeder Zeit sterben. Dir fliegen Kugeln um die Ohren. Du wirst bluten und leiden und wirst dir wünschen, niemals aus der Fotze deiner Mutter gekrochen zu sein.«
»Klingt gut.«
»Der Kerl, der die Stelle vorher hatte, ist tot.«
»Ich nehm den Job. Wo soll ich unterschreiben?«
Sie lehnte sich zurück und nahm die Brille von der Nase, um sie mit einem alten, abgewetzten Tuch zu reinigen. »Ich frage mich, ob du so bescheuert bist, oder nur so tust.«
»Ma’am, denken Sie nicht, ich weiß, auf was ich mich da einlasse?«
»Scheinbar nicht!«, zischte sie und knallte ihm eine großkalibrige Waffe auf den Tisch. »Das ist kein Spielzeug!«
Er lehnte sich etwas nach vorn, schob ihre Finger von der Pistole und nahm sie in die Hände. Keine zehn Sekunden später lag sie in ihren Einzelteilen auf der polierten Mahagoniplatte und er sah sie an. »Desert Eagle – .357 Magnum. Säureresistente Legierung, Extraanfertigung – sie ist leichter als eine durchschnittliche Deagle. Unter Ihrem Tisch befindet sich eine Schrotflinte. Geladen. Die Kugeln verstecken Sie hinter dem Stapel Akten, den sie als Praktikantenordner tarnen.« Jetzt war er es, dessen Blick sich in ihre Seele fraß. »Ich bin kein Anfänger.«
»Erwarte nicht, dass ich dir glaube, dass du das nur aus reinem Spaß machst, Junge. Ich weiß nicht, wer du bist, ich weiß nicht was du bist.«
»Zivilist. Ich habe nie Militärdienst geleistet.«
»Das meine ich nicht. Kein Mensch schneit hier rein und will, dass ich ihm einen Job gebe, wenn er nicht völlig verwirrt ist.«
Er lachte leise auf. »Die Bezahlung ist gut. Vielleicht ist es das, was mich antreibt?«
»Du bist scheinbar ziemlich dämlich.«
»Also?«, fragte er und hob die Augenbrauen. »Vertrag oder nicht?«
»Du machst das nicht zum ersten Mal.«
»Was?«, hakte er nach und setzte die Pistole wieder zusammen, während er sie nicht aus den Augen ließ.
»Das.«
»Oh, ich habe keine anderen Hobbys. Ich spiele gern an großen Dingen herum.«
Ein wissendes Grinsen nahm von ihren Lippen Besitz. Sie zog eine Schublade auf. Kurz darauf lag ein Papierbogen vor ihm und ein Werbegeschenkkugelschreiber wurde daneben platziert.
»Wie war dein Name, Süßer?«
»Ethan Lewis.«
»Alter?«
»Zweiunddreißig«, antwortete er und zog die Unterlagen zu sich.
»Du bist jung.«
»Alt genug«, hielt er dagegen und blätterte auf die Seite, auf welcher er unterschreiben musste.
»Wenn du verreckst, übernehme ich keinerlei Haftung.«
»Ich weiß.« Er reichte ihr den Kugelschreiber und schob den getackerten Papierhaufen zu ihr. »Miss Vassago.« Sie griff nach den Dokumenten und er glaubte, einen violetten Schimmer in ihren Augen zu sehen, während ihr Grinsen die weißen, im hellen Licht schier glühenden Zähne entblößte. Ihre Finger streiften seinen Handrücken und er drehte sie automatisch herum. Kühle Kuppen fuhren über die Lebenslinie seiner Hand. Jetzt waren ihr seine Beweggründe bekannt. Detaillierter müsste er sich nicht mehr vorstellen.
Vassago lehnte sich zurück und legte nun ihre Füße auf den Schreibtisch, ehe sie nach dem Telefonhörer griff. »Gib dem Neuen einen Auftrag.« Sie ließ ihn nicht einen Moment aus den Augen, als er aufstand und das schwarze Shirt glattstrich. »Ja. Irgendwas«, hörte er sie sagen. Irgendwann nickte sie und ließ den Hörer auf die altmodische Station gleiten. »Ania wird dir Arbeit geben. Du hast danach gefragt, jetzt bekommst du sie.«
Da war eine Herausforderung in ihrer Stimme, die sein eigenes Grinsen wachsen ließ. Während sie ihre sadistische Ader fütterte und glaubte, sie würde ihm damit keinen Gefallen tun, begann sein Herz vor Euphorie schneller zu schlagen.
»Ich danke Euch, Miss Vassago.« Er deutete eine halbe Verneigung an, als er einen Schritt rückwärts auf die Tür zuging.
»Wiederhol das, wenn du an deinem eigenen Blut erstickst, Süßer.« Sie zwinkerte ihm noch zu, als er die Tür öffnete und ihr düsteres, nach Alkohol und Tod riechendes Büro verließ.
Im Vorzimmer des zum Büro umfunktionierten Drei-Zimmer-Apartments, saß eine junge Frau, die Ethan schon beim Eintreten gesehen hatte. Sie war hübsch, wirkte naiv mit ihrem langen, zum Zopf geflochtenen Haar und der dicken Hornbrille auf der Nase und machte auf ihn den Eindruck, fehl am Platz zu sein. Hinter dem alttestamentarischen Monitor war sie kaum zu sehen und lediglich ihr blonder Schopf glomm im kühlen Neonlicht.
»Der Boss sagt, es soll irgendwas sein.« Ihre Stimme war hell und glockenklar. Er empfand es zum Gesamtpaket passend. »Ich habe dir also irgendwas rausgesucht.« Ihre schlanke, blasse Hand reichte ihm über den Bildschirm hinweg einen gelben Post-It, den er mit einem schmalen Lächeln von ihren Fingern nahm. »Wir haben eine dreißig-siebzig Teilung. Dreißig Prozent bekommst du nach Vollendung des Jobs, siebzig Prozent bekommen wir. Von deinem Teil werden die Beschädigungen abgezogen, für die wir hinterher aufkommen müssen. Also pass auf, dass du nicht zu viel zerstörst.«
Ethan nahm den Blick von der Adresse und sah ihr in die braunen Augen. »Wie lange habe ich Zeit?«
»Bis alles tot ist, was zu töten da ist«, lautete ihre fast geflötete Antwort, ehe sie die Ellenbogen auf dem Tisch abstützte und das Kinn auf ihren Händen bettete. »Sonst noch was, Darling?«
»Nein, alles klar.« Er faltete die Adresse und schob sie in die Tasche seiner weiten, schwarzen Jeans. Ethan wandte sich ab und trat auf die Milchglastür zu. Seine Hand streckte sich gerade nach dem Türknauf aus, als jemand das Glas aufdrückte und ihn beim Hineingehen zur Seite rempelte.
»Jo, Ania«, grüßte der Neuankömmling lässig und warf ihr seinen schwarzen Ledermantel über den Monitor. »Is’ Vassago frei?«
»Ja. Der Neue ist gerade raus«, sagte sie und ihr Blick schoss in seine Richtung. Langsam wandte sich der andere daraufhin mit dem Terminkalender in der Hand zu ihm um und er spürte den Blick aus kühlen, blauen Augen. Er begrüßte Ethan nicht, musterte ihn lediglich skeptisch, wenn nicht sogar abwertend.
»Haben wir es inzwischen sogar so nötig?« Geräuschvoll ließ er den Kalender zuschnappen, reichte ihn in lässiger Manier über den gequält summenden Monitor an Ania weiter und verschränkte die Arme vor der breiten Brust, als er sich gegen den Tisch lehnte. Natürlich, dachte Ethan und schob die Hände in die Taschen seiner weiten Jeans. Das Platzhirschgehabe kannte er von anderen aus ihrer Branche und die meisten begingen den Fehler, ihn wegen seines Aussehens zu unterschätzen. »Todessehnsucht, Kid?«
Humorlos lachte Ethan auf und schüttelte den Kopf.
»Ethan – das ist Jareth Delaney. Jareth – der Neue: Ethan Lewis.«
»Er wird nicht lang genug leben, als dass ich mir seinen Namen merken müsste.« Damit stieß sich Jareth ab und wandte sich der Bürotür der Chefin zu, sodass er einen Blick auf seinen breiten Rücken hatte. Es war unübersehbar, welchen Körperbau Delaney besaß, wenn sich das schwarze Shirt wie eine zweite Haut über den Oberkörper spannte. Die ledernen Riemen des Schulterholsters bewegen sich bei jedem Schritt mit und glänzten im kalten Licht der Neonröhren.
Das Letzte, was er noch hörte, waren die Schritte der schweren Stiefel auf dem Billigfußboden in Vassagos Büro, ehe die Tür krachend ins Schloss fiel.
»Er ist ein Dämon.« Anias Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah zu ihr. Aber alles, was ihm einfiel, war: »Ich weiß.« Und er wusste, dass sie es nicht im übertragenen Sinne als Metapher für sein beschissenes Verhalten benutzte.

Heute

Zuhause angekommen, löste Ethan die Schnallen des Schwertholsters und stellte die Waffe in seinem Flur an die Wand. Die dreckige Jacke ließ er rücksichtslos zu Boden fallen – er würde sich darum kümmern, wenn ihm der Sinn danach stand. Und das war eigentlich nie. Seine Wohnung war ein einziges Chaos und wahrscheinlich auch der Grund, warum er bei Vassago keine Hemmungen hatte, sich zu setzen. Seine Wohnung befand sich im Herzen der Stadt und war groß genug, um nicht im Bett zu essen, zu schlafen und zu wichsen. Die vorherrschende Unordnung war hingegen dem Fakt zuschulden, dass er die letzten zehn Jahre kaum zu Hause gewesen und erst seit drei Tagen zurück war. Er hatte sich durch die langen Jahre auf Reisen daran gewöhnt, aus Taschen zu leben. Es hatte nie eine Chance gegeben, auszupacken, und er hatte es hier schlicht und einfach vergessen.
Mit einer Hand schob er den Pizzakarton und die Klamotten vom Vortag vom Tisch und der Couch. Mit einem leisen Seufzen zog er die beiden großkalibrigen Pistolen aus dem Hüftholster, bevor er sich auf die Polster fallen ließ. Die Waffen fanden ihren Weg auf den kleinen Couchtisch. Keine von beiden hatte er heute abgefeuert. Und vielleicht war es auch besser so. Noch war er sich nicht sicher, wie die Menschen reagierten, wenn man scheinbar grundlos herumballerte. »Irgendwann«, flüsterte er ihnen zu und lehnte sich zurück. Mit Klingen zu arbeiten war nur weitaus … sauberer. Man musste keine Patronenhülsen aufsammeln und nicht auf Querschläger achten.
Obwohl er die Stadt zu kennen glaubte, musste er jedes Mal wieder feststellen, dass dem nicht so war. In Japan oder Südkorea brauchte er den Menschen nur in die Augen schauen und wusste, dass ihnen die Existenz von Dämonen nicht fremd war. Sie nahmen sie hin, akzeptierten sie und stellten keine Fragen, wenn sie Jägern wie ihm über den Weg liefen. Ethan und seinesgleichen waren stets bewaffnet. Was auf den ersten Blick wie Goth-Streetwear aussah, war ihre Arbeitskleidung. Selbst in Atlanta, Nashville oder Fair Wood – seiner Heimatstadt am anderen Ende der Staaten – spürte er, dass viele Bewohner ahnten, welche Mächte zwischen ihnen lebten. Die Kirchen wussten Bescheid – nicht selten wurden erst sinnlose Exorzismen durchgeführt, bevor ein Jäger gerufen wurde. Scheiße eh, in Italien haben die Städte sogar eigene Abteilungen in den Rathäusern, dachte er und legte den Kopf in den Nacken. Aber hier in Fiends Creek? Grade in seiner Wohngegend lauerten an jede Ecke zwielichtige Gestalten, bei denen selbst Ethan manchmal zweimal hinschauen musste, um sicherzugehen, dass es kein Dämon war. Noch war ihm nicht klar, wie das System in dieser Stadt funktionierte. Aber im Grunde kann es mir auch scheißegal sein. Die Aufträge kamen rein, liefen bei Ania zusammen und sie verteilte die Arbeit an ihn und Jareth. Also warum Fragen stellen?
Ein erleichtertes Seufzen kroch über seine Lippen, als er bemerkte, dass die Anspannung immer mehr von ihm rieselte.
Er sollte duschen gehen, aber dazu müsste er sich erheben und ins Bad gehen. Ein Grund mehr, warum er sich dagegen entschied. Ethan streifte die fingerlosen Handschuhe ab und ließ sie achtlos zu den Kartons und Chipstüten fallen. Das Rascheln, das daraufhin durch den Raum ging, nahm er kaum wahr.
Seine Sinne drifteten in eine andere Richtung ab. Seine Gedanken kehrten zum Auftrag zurück und ließen ein animales, dunkles Verlangen in ihm aufsteigen. Ein uralter Instinkt, ein Trieb, der sich ans Licht kämpfte, wann immer er von einem Job zurückkehrte und sich, einer Blutlust gleich, in seiner Seele festbiss. Hände, die ruhig auf seinen Oberschenkeln gelegen hatten, fuhren zu seiner Mitte und er öffnete den Gürtel. Er drückte den Knopf durch das Loch und biss sich auf die Unterlippe, als dadurch der feste Stoff seiner Hose gegen seine wachsende Erregung rieb. Mit spitzen Fingern zog er den Reißverschluss auf und seine rechte Hand glitt zwischen Jeans und Shorts, bevor er brutal zufasste. Er schloss seine Augen und unterdrückte das dunkle Stöhnen nicht, während er sich vorstellte, wie wunderbar es wäre, nach Hause zu kommen und jemanden vorzufinden. Ethan stellte sich vor, die Wohnung zu betreten und von dem süßen Lächeln seines Partners begrüßt zu werden. Nur, um sie oder ihn im nächsten Moment gegen die Wand zu drücken. Ein Keuchen kroch bei dem Gedanken aus seiner Kehle.
Er glaubte, den warmen Körper vor sich zu spüren und den bekannten Geruch von Kaffee und Shampoo zu riechen. Seine Hüfte drängte sich seiner Hand entgegen, als das Bild vor seine Augen trat. Sein Flur und ein zierlicher Frauenkörper zwischen ihm und der kalten Wand … Er hörte ihr Keuchen, ihr Stöhnen, während er seine Hand über ihren Bauch, hinter den Bund ihres Slips fahren und seine Finger in ihre heiße Spalte tauchen würden. Ihr eigener, unverkennbarer Geruch stieg ihm in die Nase und mit einem Schlag wurde das Bild vor seinem inneren Auge klarer und deutlicher. Ethans Zähne bohrten sich in seine Unterlippe und er schmeckte Blut. Er vermisste es. Ihren Geruch, ihren Geschmack, ihr Lächeln, ihre Wärme und den Sex. Sie war so oft gekommen, wenn er sich tief in ihr vergraben und seine Zähne in ihr Fleisch geschlagen hatte. Ihr Stöhnen war Musik in seinen Ohren gewesen, hatte ihn in unvorstellbare Höhen getrieben. Er drückte den Rücken durch, drängte sich in seine Hand und spürte, wie sich der Orgasmus langsam in ihm aufbaute. Niemand vor ihr hatte die Seite an ihm akzeptiert. Sie hingegen hatte ihn mit offenen Armen empfangen, wenn er eingesifft und blutüberströmt zu ihr kam.
Ihre Finger hatten ihn ausgezogen, hatten ihn gestreichelt und das gegeben, was er brauchte. Keine Fragen, keine sanften, beruhigenden Worte – sie hatte ihn für die paar Minuten freie Hand gelassen, ihm ihren Körper in dem Wissen geschenkt, dass er sie nicht brechen würde. Und das hatte er nie getan. Er war rau, konnte sich in dem Zustand nie kontrollieren oder zurückhalten, aber er hatte sie nie verletzt. Jetzt sah er ihr Gesicht, ihr wissendes Grinsen und das Blut, das ihre vollen Lippen benetzte, während sie sich zu ihm lehnte und ihn küsste, ihre schlanken, rauen Finger um seine Mitte schloss …
Er kam mit einem tiefen Stöhnen in seiner Hand und auf seinem ohnehin versauten, schwarzen Shirt.


»Ich habe hier deinen Arbeitsausweis.«
»Wozu brauch ich den denn?«, fragte er und nahm die graue Plastikkarte entgegen, auf der sein Name und der der Firma stand, für die er arbeitete. MCS – klang eher nach Kreuzfahrt und nicht wie das Büro einer Dämonenjägeragentur.
»Falls die Polizei wissen will, warum ein Zivilist mit geladenen Waffen durch die Stadt streift.« Ania schenkte ihm ein leichtes Lächeln. Er kannte sie noch nicht lange, hatte sie aber in den wenigen Augenblicken nie ohne ihr Schmunzeln gesehen und begann sich zu fragen, ob sie überhaupt schlechte Tage hatte. Ein Büro wie dieses brauchte jemanden wie sie. Eine Person, die das Bösartige und Dreckige mit dem offenen, fröhlichen Lächeln wegwischte. »Die Bullen wissen Bescheid. Geschmiert läuft’s besser.« Sie zwinkerte ihm zu und er schob den Ausweis in seine Hosentasche.
»Geschmiert, hm?«, machte er. »Wie läuft das hier in Fiends Creek? Wenn die Bullen geschmiert sind?«
»Wir sind offiziell alles Säuberungsfirmen«, sagte sie. »Das ist leichter verständlich für diejenigen, die nicht wissen, was wir wirklich machen. Und da wir nicht alle Aufträge an den zuständigen Cop weitergeben«, Ania zuckte mit den Schultern und verzog das Gesicht zu einer unschuldigen Maske, »sind fast alle Cops geschmiert, um uns nicht hochzunehmen.«
»Ah, alles klar.«
»Ich bekomme die meisten Anrufe hier von der Kirche oder den Spirituellen. Hexen, Seher – weißt schon, all diese okkulten Menschen, denen man vielleicht mal sagt, was man gesehen hat …«
Ethan schnaufte und nickte dann. »Verstehe.«
»So läuft das hier. Und die, die uns schon kennen, rufen uns direkt an. Es ist … ein bisschen wie im Underground, nur sichtbarer.«
»Macht Sinn.« Zumindest ein bisschen, ergänzte Ethan gedanklich.
»Jo, Ethan.«
Aus dem Augenwinkel hatte er gesehen, dass Vassago ihre Tür geöffnet hatte, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihre finstere, widerliche Kammer verlassen würde. Vor allem nicht, um mit ihm zu reden.
»Jo«, gab er zurück und nickte ihn knapp zu. »Was gibt’s?«
»Habe gehört, dass der Job gestern gut lief?«
»Aufwärmphase.« Er war anderes gewohnt, höhere Klassifizierungen und mehr Aufwand. Die kleinen Fische von vor vier Tagen waren ein Spaß gewesen, keine Herausforderung. Vassago legte den Kopf zur Seite und ihr Blick glitt musternd über seine Erscheinung. Er sah, dass sich ihre Lippen bewegten, außer einem leisen Zischen verstand er nichts. Er schüttelte den Gedanken ab. Einbildung ist auch eine Bildung, dachte er.
»Ania.«
»Ma’am?«
»Wie sieht es bei Jareths Auftragslage aus?«
»Stapelt sich«, meinte sie und wühlte den roten Kalender hervor, den Jareth bei ihrem ersten Aufeinandertreffen in den Händen gehalten hatte. »Ich nehme schon kaum mehr Aufträge entgegen, wenn es sich um etwas der Klassifizierung handelt.«
»Gib ihm welche.« Vassago deutete auf ihn und stieß sich dann vom Türrahmen ab.
»Was?« Ania ließ den Kalender erschrocken auf die graue, vorchristliche Tastatur fallen und starrte ihre Chefin nicht überrascht, sondern geschockt an. »Jareth ist …«
»Ein Dämon, das weiß Ethan sicherlich auch schon«, fiel Vassago ihr ins Wort. »Aber Aufträge wie der gestern gehörten auch in die M-Klassifizierung. Jareth musste sich mit Kleinigkeiten abmühen, weil uns das Personal fehlte. Jetzt haben wir diesen Süßen und er wird die Aufgaben erledigen müssen, die ich ihm gebe.« Der Ausdruck in ihren Augen sprach Bände und er würde ihr nicht widersprechen. Viel eher sah er den Aufträgen mit Vorfreude und einem aufgeregten Kribbeln in den Händen entgegen. »Lewis ist nicht aus Zucker.« Sie wandte sich von ihm ab und fixierte Ania. »Steht sonst noch was an?«
Hektisches Rascheln ging vom Schreibtisch aus und Ethan warf der Sekretärin einen kurzen Seitenblick zu. »Wie kommt es zu der momentanen Situation?«, fragte er und streckte die Hand zur Seite aus, als er Anias Bewegungen wahrnahm. Sie legte ihm einen Stapel kleiner Zettel auf die Handfläche und er schob diese, wie zuvor die Mitarbeiterkarte, in seine Hosentasche.
»Ich gehe von einer Verschiebung der Dimensionen aus«, begann Vassago zu erklären und zuckte angedeutet mit den Schultern. »Unsere Welt und Meijdas scheinen momentan einen sehr dünnen Übergangspunkt erreicht zu haben. Die Tore bleiben länger auf oder es öffnen sich mehrere an ähnlichen Stellen. Anders kann ich die hohe dämonische Population nicht erklären.«
»Hm.« Ethan kannte Meijdas – die Welt der Dämonen. Durch verschiedenen Portale hatte er einen Blick auf die Gegenseite erhaschen können. Nur hatte er gehofft, dass es bei kurzen Einblicken bliebe. Offenstehende Tore können wir auf Dauer nicht gebrauchen. Das würde nur dazu führen, dass mehr Kreaturen von der anderen Seite zu ihnen strömten.
»Warum fragst du?«
»Vor drei Jahren in Japan …«, setzte er an und wurde von ihrem wissenden Lachen unterbrochen.
»Ich wusste, dass du kein normaler Mensch bist, Ethan.«
»Während eines Festivals und zwei Tage danach war die Meldung übernatürlicher Phänomene und Selbstmorden überdurchschnittlich hoch«, fuhr er unbeirrt fort und vergrub seine Hände in der Bauchtasche des weiten, beigen Pullovers. »In Japan trifft man vorzugsweise kleine Klassifikationen an. An dem Abend stand ich erstmalig einer G-Klassifizierung gegenüber. Ich hatte von solchen Dämonen gehört, aber nie einen mit einen Augen gesehen. Es war … eine Erfahrung.«
»Lewis?«
»Hm?«
»Was bist du?«
»Dämonenjäger. Das wusstest du aber auch«, hielt er nüchtern dagegen. »Du hast es gespürt.«
»Ich fragte dich, was du bist. Nicht, was deine Berufung ist.«
»Das tut nichts zur Sache«, sagte er und schnitt das Thema damit ab.
»Warum kommst du erst jetzt zu uns?«
»Musste weg. Erfahrungen sammeln. War die letzten Jahre auf der ganzen Welt unterwegs, habe meinen Fuß in der Zeit vielleicht zehn Mal in meine Wohnung gesetzt.«
»Was änderte es?«
»Was änderte was?«, wollte er wissen.
»Dass du aufgehört hast, als pilgernder Jäger zu leben?«
Er schwieg daraufhin und sah ihr Nicken. Vassago verstand, dass er nicht darüber reden wollte, und akzeptierte es zu seiner Verwunderung. »Wo ist Jareth?«, fragte er und sah auf die Uhr, die neben ihrem Büro über Anias Arbeitsplatz hing.
»Ich habe keine Ahnung, wo der Flachwichser sich aufhält. Der kommt und geht, wie es ihm beliebt.«
»Zuverlässig«, knurrte er für sich.
»Er macht seine Arbeit, nimmt die Aufträge mit und dann kommt er irgendwann wieder. Vielleicht jagt er, vielleicht fickt er – ich weiß es nicht. Und es ist mir auch scheißegal, solange er seine verdammte Arbeit macht.« Damit ging sie an Anias Tisch vorbei. »Ich geh pissen. Fühl dich wie zu Hause, Ethan.«
»Yeah, danke.« Er sagte es mehr zu sich als an seine Chefin gerichtet, als er dieser auf dem Weg zur Toilette hinterher sah. »Wer arbeitet hier noch?«
»Jareth.«
»Nein, ernsthaft, Ania. Wer arbeitet noch hier?«
»Jareth«, wiederholte sie und er sah sie das erste Mal seit Minuten wieder an.
»Nur … wir vier?«
Sie nickte und begann, ihren Schreibtisch aufzuräumen. »Menschen zu finden, die glauben, was sie sehen, ist schwer. Wir hatten einen Ex-Marine hier, der meinte, er hätte während seines Auslandseinsatzes Dämonen gesehen und getötet. Er hat sich hinterher vor diesem Schreibtisch zitternd in die Hose geschissen, während er wirres Zeug gelabert hatte. Jetzt ist er wohl mit einer posttraumatischen Belastungsstörung, Angstzuständen und Wahnvorstellungen in einer geschlossenen Klinik. Manchmal spielt der Kopf halt doch Streiche. Und das … Zu warten, bis die Reinigungsfirma kam und seinen Angstdünnschiss wegwischte, war eklig genug.«
»Tz.« Es war immer dasselbe. Egal, in welche Ecke der Erde man sich verirrte, die Reaktionen waren die gleichen. Inzwischen erwartete Ethan nicht mehr, dass Menschen verstanden oder glaubten, was sie sahen. Es überschritt oftmals den Horizont der meisten und er nahm es ihnen nicht einmal übel. Scheiße, selbst ich will manchmal nicht glauben, was ich sehe. Denn in den ganzen Jahren hatte er genug wirren Shit mitansehen müssen. Er kannte das Spiel, war ausreichend Menschen begegnet, die dachten, sie hätten den Blick für die dunklen Kreaturen und verloren hinterher die Nerven, wenn sie einem tatsächlichen Dämon gegenüberstanden.
»Sie glauben nicht, dass es diese Wesen wirklich gibt – die Menschen, meine ich. Es ist schwer für sie. Aber wenn sie sie sehen, streiten sie es ab und tun so, als wäre ihre Welt weiterhin unberührt von der Finsternis.«
»Und du?«
»Huh?«
»Was ist mit dir?«, fragte er. Sie war normalsterblich, besaß ein schlagendes Herz und eine Seele. Unter den vier Personen des MCS war Ania der Engel zwischen Dämonen.
Ihre braunen Augen sahen ihn groß an und sie strich sich die blonden Locken hinter die Ohren. »Ich habe sie gesehen«, begann sie, »meine Eltern wurden von ihnen getötet. Vor … dreizehn Jahren. Ich war damals fünfzehn. Manchmal wache ich nachts auf und habe den Geruch ihres blutigen, stinkenden Speichels in der Nase oder spüre ihren Sabber auf meinem Gesicht.« Sie tippte auf ihrer Tastatur herum. Das rhythmische Klicken erfüllte den Vorraum des Büros. »Sie haben sie zerrissen, ihnen den Brustkorb aus dem Körper gezerrt und die Eingeweide auf dem Boden unseres Wohnzimmers verteilt. Ich hatte etwas Gehirn meines Vaters an meinen Schultern …« Ruhe kehrte in dem Zimmer ein, die Geräusche der Tastatur verebbten. Er hörte ihren ruhigen Herzschlag. Obwohl die Erinnerung an den Abend allgegenwärtig für sie war, bescherten ihr die Bilder kein Herzrasen. Noch war er sich nicht sicher, ob er es als ein gutes oder schlechtes Zeichen deuten sollte. Menschen tendierten dazu, nervös und aufgeregt zu werden, und der Blutdruck schnellte in die Höhe, sobald sie an die dunklen Teile ihrer Vergangenheit dachten. »Sie waren für mich immer real, weiß du?«, fuhr sie flüsternd fort und sah langsam von ihrem Monitor zu ihm. »Es waren keine Märchen, keine Geschichten. Sie waren materiell. Das Kratzen an meinen Bodendielen als ich klein war oder das Knacken in der Kirche während des Gottesdienstes am Sonntagmorgen – das waren keine bauwerkbedingten Geräusche. Sie waren da und wollten durchbrechen. An dem Abend taten sie es und verliehen meiner Vorstellung Gestalt. Ich habe nie gedacht …, dass sie so abartig wären.«
»Kuschelhasen sind sie sicherlich nicht.«
Sie lachte. »Nein, das stimmt.« Sie rückte ihre Brille zurecht und lehnte sich auf ihrem Bürostuhl zurück. »Ich habe Jareth an dem Abend kennengelernt. Er kam zu spät, um meine Eltern zu retten, aber rechtzeitig, um mich vor dem Tod zu bewahren.« Ihre Hand berührte die Stelle unter ihrem rechten Schlüsselbein. Unbewusst, denn sie zog ihre Finger im selben Moment zurück. »Er kam durchs zerbrochene Wohnzimmerfenster und trieb die Klinge durch das Herz des Dämons in meine Schulter.«
»Wusste er nicht, dass du da warst?«, fragt er.
»Doch, sonst hätte er sie in den Holzboden gerammt. Ich … habe Erfahrungen mit Dämonen. Persönliche, keine als Jäger. Als ich Mara – also Miss Vassago – sah und Jareth bei ihr erkannte … Ich bin mit ihnen großgeworden, ja. Ich habe von ihnen alles gelernt und weiß deswegen auch, was eine M-Klassifizierung, als auch die Aufträge, die du in deiner Tasche hast, bedeuten.«
»Ich habe viele Dämonen getötet.« Abgesehen davon verstand er ihre Sorge nicht. Sie kannten einander vom Namen her, sahen sich zum … zweiten Mal und dennoch sah er aufrichtige Sorge in ihren Augen. Um eigentlich völlig Fremde machte man sich keine Gedanken. Zumindest verschwendete er keinen zweiten an sie. Starb jemand, lebte er sein Leben weiter. Verließ ihn jemand, lebte er sein Leben weiter. Es war so einfach, weil es so einfach war. Er war nicht emotionslos oder im Inneren abgestorben. Das Konzept von Familie und Liebe war ihm nicht fremd, er hatte sich lediglich entschieden, ihm aus dem Weg zu gehen. Gefühle und er – das passte nicht zusammen. Deshalb war es ihm recht, wenn er sich damit nicht auseinandersetzen musste. Ethan klopfte auf ihren Schreibtisch. »Mach dir keinen Kopf. Wir sehen uns.«
»Ethan.« Er hielt auf halben Weg zur Tür inne und sah über seine Schulter zurück zu ihr. Nur, um den braunen Umschlag in ihrer Hand zu sehen. »Dein Anteil.« Sie warf ihm das Bündel zu und er fing es mit Leichtigkeit. Sechshundert in kleinen Scheinen präsentierten sich ihm, als er das braune Papier öffnete und hineinsah. Kleine Banknoten waren unauffälliger. Dabei brauchte er sich eigentlich keine Gedanken darum machen. Es war ein normaler Job, wie ihn ein Barkeeper innehatte. Er war angestellt, gemeldet und besaß eine Zulassung als offizieller Reiniger. Was sie vom Angesicht der Welt putzten, war dahingehend egal. Aber kleine Scheine sorgten dafür, dass man nicht mehr Aufmerksamkeit auf sich zog, als es nötig war. Und egal wo er war, so unauffällig wie möglich zu agieren war das höchste Maß der Dinge. Ethan hatte immer Wert daraufgelegt, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Gerade in asiatischen, afrikanischen oder südamerikanischen Ländern war man binnen von Sekunden als Tourist enttarnt, da musste er sich nicht auch noch Jäger auf die Stirn tätowieren. Die zwei Zwischenfälle, die er auf seiner Karte hatte, reichten ihm.
»Alles klar.« Der Umschlag fand den Weg in seine Beintasche, ehe er sich erneut abwandte. Er hob die Hand, als er das Büro wieder verließ. Er wollte nicht mehr Zeit in diesen Räumlichkeiten verbringen als zwingend notwendig. Unten am Auto angekommen, ließ er sich in die weichen Polster des alten BMWs sinken und warf das Geldbündel auf den Beifahrersitz. Dann wühlte er die Adresszettel aus der Hosentasche. Sein Blick flog über die Notizen. Einer nach dem anderen landete neben ihm. Keiner von den Aufträgen überschritt die M-Klassifikation. Dabei war er davon ausgegangen. Er hatte auf Grund von Vassagos Reaktion fest damit gerechnet, etwas zugeteilt zu bekommen, das ihn mehr forderte, als der erste Auftrag es getan hatte.
»Na super«, seufzte er und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Ihm ging die Idee nicht aus dem Kopf, dass er sich erst beweisen musste. Sobald sie sehen würde, dass er mehr draufhatte, als den Dreck rauszubringen, würde sie ihm Größeres überlassen. Und MCS verfügte über genug Aufträge. Der Stapel, von dem Ania die Zettelchen genommen hatte, war riesig und schien nicht zu schrumpfen. Woher die Mandate kamen, war ihm ein Rätsel. Nicht, die Art und Weise, wie die Aufträge zu ihnen kamen, sondern eher die Gründe, warum Menschen einem Priester oder eine spirituelle Person auf die Thematik ansprachen. Wie Ania gesagt hatte, taten die meisten Menschen Dämonen als Schauergeschichten ab und ignorierten deutliche Zeichen, dass es diese Kreaturen gab. Sahen sie die Wesen dann, sorgte der Schock, den die Erscheinung bei ihnen auslösten, dafür, dass sie die Begegnung vergaßen. Ethan hatte es oft erlebt, dass unmittelbar Betroffene ihn hinterher fragend ansahen und nicht wussten, was passiert war. Er konnte sich diese Reaktion zwar nicht logisch oder biologisch erklären, aber er hatte seine Vermutung und daran hielt er fest. Nur änderte das nichts daran, dass es Personen wie Ania gab, die eine derartige Begegnung nicht vergaßen. Es gab dafür keine Erklärung.