Kapitel 1
«Ich hab dir ein Hemd gekauft.»
Arthur sah das schwarze Ding in Größe L an, das Isabelle ihm vorhielt. «Seh ich», kommentierte er nüchtern.
«Probier es an.» Sie drängte den Bügel näher an ihn heran, wedelte ein wenig damit hin und her.
«Warum?» Das letzte Mal, dass ich sowas getragen habe, war bei meiner Verhandlung.
«Weil ich wissen will, ob es passt.»
Art hob die Brauen. «Ja. Schon verstanden. Aber warum?»
«Thanksgiving.»
«Belle. Wir essen hier. Wir beide. Warum soll ich mich da aufdonnern?» Ihm stand nicht der Sinn danach, sich in unbequeme Klamotten zu zwängen, nur um mit ihr am Tisch zu sitzen und Truthahn zu essen.
«Wir fahren zu den Griffith.»
«No fucking Way!», stieß er aus.
«Du und Levi kommt doch gut aus.»
«Das ist nicht der Punkt!» Er hob den Zeigefinger. «Nicolas hasst mich aus dem Grunde seines Herzens. Will mich nicht auf seinem Hof.»
«Kann er gar nicht ändern, wenn du von Magnus aus dort bist. Oder mit mir, weil Samantha und Levi uns eingeladen haben.»
«Ich geh da nicht hin», knurrte er.
«Stell dich bitte nicht so an», tadelte sie und stieß ein frustriertes Seufzen aus. «Das ist ein soziales Event, Art. Das macht sich gut in deiner Akte, wenn du Hasegawa davon erzählst.»
Er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. «Dem brauch ich gar nicht viel erzählen. Solltest du ja wissen», sagte er etwas unterkühlt und beobachtete, wie die Erkenntnis in ihren Blick trat. «Ja, ich habe herausgefunden, dass mein Therapeut ein Werfuchs ist. Dank für die Mitteilung.»
«Bist du auf Krawall gebürstet?», hakte sie nach und drückte ihm den Bügel vor die Brust. «Zieh es an.»
«Einen Scheiß werde ich tun!»
«Warum?»
«Warum was? Sag du mir doch mal, warum du ständig irgendwas an Levi weitertratscht! Hab dich nicht für eine gehalten, die aus dem Nähkästchen plaudert», zischte er und legte das Hemd gezwungen beherrscht über die Stuhllehne.
«Am Montag hat er so verloren ausgesehen und ich wollte, dass er es versteht.»
«Was genau versteht?»
«Dich.»
«Ich versteh mich selbst nicht, wie willst du das von ihm verlangen?», zischte er, «Es ist sowas von nicht ok, dass du ihm alles erzählst, Belle. Das ist meine Aufgabe.»
«Ich wollte …»
«Lass es. Lass es in Zukunft einfach. Ich find’s gut, dass du dich um ihn und mich sorgst, aber nicht so.» Isabelle nickte angedeutet. Sie presste die Lippen zusammen und wich seinem Blick aus. Es tat ihm nicht leid, dass seine Worte sie trafen. Sie hatte sich da hineingeritten, weil sie Dinge erzählte, die niemanden etwas angingen. Vor allem nicht Levi. Er wollte von ihm nie wieder so behandelt werden wie den einen Morgen. Er zweifelte schon an seiner Zurechnungsfähigkeit, andere sollten das nicht tun. «Ich will entscheiden, was er von mir weiß und was nicht.»
«Ok.»
«Es ist mein Leben.»
«Es tut mir leid …»
«Alles, was ich dir erzähle, erzähle ich dir, Belle. Und niemanden sonst. Das, was in den Akten steht, ist für die Augen von Ärzten und für deine. Nicht für die Allgemeinheit.» Er wollte das Bild von sich aufrechterhalten. In Detroit hatte es über Jahre funktioniert. Hinter verschlossenen Türen war er eine andere Person als auf der Straße. Bei der Arbeit war er anders als beim Feiern mit seinen Jungs. Es gab so viele Facetten von ihm und er entschied, wer welche davon zu sehen bekam. Er hatte entschieden, Levi gegenüber offener zu sein, denn was konnte der Kerl noch von ihm sehen, wenn er ihn schon heulend und kotzend im Bad und nackt unter ihm erlebt hatte? Mehr gab es nicht. Und er hatte nicht vor, unnötige Hindernisse zu errichten. Sie waren auf einem guten Weg. Aber er wollte die Entscheidungsfreiheit behalten, sich zu erklären, wenn es nötig wurde.
«Ja. Ich … versteh das. Nur … Sorry», murmelte sie.
«Ich geh mit dir zu diesem idiotischen Essen», begann er und zog den Pullover über den Kopf, um das Hemd anzuprobieren. «Auf deine Verantwortung.» Er öffnete die ersten Knöpfe und zog den Stoff über. Es passte grade so, ohne zu eng zu sein. «Wo hast du das gekauft? In der Kinderabteilung?» Normalerweise fand sich kaum L in seinem Schrank.
«Es sieht gut aus», murmelte Belle mit dem Hauch eines Schmunzelns auf ihren Lippen.
«Erwarte nicht, das sich in Bundfaltenhose und mit Blazer dort aufschlage.» Er zog es wieder aus, bügelte es auf und ließ sich auf den Stuhl fallen. «Es ist nur ein Essen auf einem Bauernhof. Eindruck hab‘ ich ohnehin hinterlassen.»Adriens Sohn, dachte er. Mehr als das war er nicht, seitdem es die Runde gemacht hatte, dass er eventuell das Blut mit dem Bastard teilte.
Auf dem Weg zur Arbeit warfen die Bewohner seinem Wagen einen kritischen Blick zu, im nächsten Lebensmittelladen schielte ihn die Verkäuferin schief an. Schlimmer als der Neue zu sein, war es, Adriens Sohn zu sein.
Sie hatten ihn vorher nicht so behandelt. Sogar Jason, der Kerl aus dem Elektrohandel, begann zu schwitzen, wenn er ihn sah. Es war dieselbe körperliche Reaktion, die er bei ihm in Levis Gegenwart erlebt hatte. Selbst der Grund dafür zu sein, ohne dass er einer Seele aus Waterville irgendwas getan hatte, war … merkwürdig. Er hatte nicht einmal die Chance gehabt, einen Ruf für sich zu schaffen. Ihm wurde ein Stempel aufgedrückt, nach dem er nie gefragt hatte.
Seine mögliche Verwandtschaft verschaffte ihm alles, was er nicht wollte. Ängstlichen Respekt und Skepsis. Scheiße, in Detroit hatten die Leute die VIP-Lounge im Palace geräumt, wenn er mit seinen Jungs kam, weil sie wussten, wer sie waren; weil sie auch zwischen Schlägereien gingen, die nichts mit ihnen zu tun hatten. Sie waren nicht nur die Bösen gewesen. Der Respekt dort war ein anderer, als der, den er jetzt genoss.
Sicher machte er sich nicht die Mühe, übermäßig freundlich zu sein. Hab‘ ich nie gemacht. Aber war es zu viel verlangt, ihm eine Chance zu geben?
Von allem, was er bisher erfahren hatte, bereute er die Info, dass Adrien sein Vater war, am meisten. Und die Entscheidung, ihn aufgesucht zu haben bedauere ich auch.
«Ricks kommt morgen aus dem Krankenhaus.» Belle ließ sich ihm gegenüber an den Tisch fallen und legte den Kopf auf der Platte ab.
«Und?», fragte Arthur unbeeindruckt.
«Was, wenn er wieder herkommt?»
«Dann kann er das Bett auf seiner Station gleich reservieren.» Sein blaues Auge war inzwischen verheilt, die Platzwunden ebenfalls. Wenn er mit einer Sache gesegnet war, dann gutem Heilfleisch. Zwar hätte er von dem Farbunterschied im Gesicht noch eine Weile etwas, aber es war in Ordnung. Die Schmerzen hielten sich inzwischen in Grenzen.
«Das kann doch nicht immer so weitergehen», hauchte Isabelle.
«So lange, wie es sein muss», sagte er und sah auf sein Handy. Noch immer wartete er auf den Rückruf von Darnell. Das Gefühl, dass der Kontakt wirklich abbrach, machte sich in ihm breit und sorgte nicht dafür, dass es mit seinem Seelenwohl besser stand.
«Hast du … Angst?» Sie sah auf. Arthur zuckte die Schultern.
«Weiß nicht.» Vielleicht hatte er zu einem gewissen Grad Angst, aber sie äußerte sich selten in Zittern und Schweißausbrüchen. «Vielleicht kommt er auch gar nicht wieder, hat seine Lektion gelernt.» Dabei wusste er, dass es Wunschdenken war. Adrien gehörte nicht zu den Menschen, die aufgaben – oder lernten. Sie machten so lange weiter, bis sie ihr Ziel erreichten. Aber Art würde sich zwischen ihn und seinem Sieg stellen.
«Ihr seid so verflucht schwul», stöhnte Darnell.
«Liegt daran, das ich schwul bin», hielt Art mit einem Grinsen dagegen und legte sein Kinn auf Jeans Schulter ab, um Darnell anzusehen. Jean fasste seine Hand, verschränkte die Finger mit seinen.
«Wir werden zusammenziehen», sagte sein Freund und er beobachtete, dass sich Darnelles Augen weiteten.
«Was?» Beinahe fielen Nelly die Bierflaschen aus der Hand, die er vor ihnen auf dem gläsernen, bereits beschädigten Couchtisch absetzen wollte. «Nach einem Jahr?»
«Warum nicht?», fragte Art und lehnte sich auf der Couch zurück. Jean ließ sich neben ihn fallen, legte aber seine Beine über Arts Oberschenkel. Seine Hand landete auf Jeans Knie und er strich mit dem Daumen über den dunklen Stoff der Hose.
«Kann ich mal mit dir allein reden, Art?», bat Darnell und deutete auf den Flur.
«Warum?»
«Bitte?», fragte Darnell mit Nachdruck.
«Ok, entspann dich.» Er schob Jeans Beine von sich und erhob sich, folgte ihm in die gegenüberliegende Küche.
Darnell schloss beide Türen und stieß ihn dann gegen die Schultern. «Bist du von allen guten Geistern verlassen?», zischte sein Kumpel.
«Weil ich mit ihm leben will?»
«Ja!» Nelly hielt seine Stimme gesenkt, aber Arthur hörte die verwirrte Wut in seinen Worten. «Das kann nicht dein Ernst sein! Ist ja alles ganz schön und gut, du liebst ihn, er liebt dich. Aber zusammenziehen? Mit dem? Für immer?»
Arthur zuckte die Schultern.«Wer weiß.»
«Mensch, du bist jung. Willst du dich mit knapp über zwanzig an einen Kerl binden? Alter!»
Art stöhnte genervt und legte den Kopf in den Nacken. «Was ist dein beschissenes Problem?»
«Der kleine, reiche Wichser zwei Zimmer weiter!»
«Du hast ihn nie gemocht. Aber kannst du meine Entscheidung akzeptieren? Ich bitte dich nicht um Erlaubnis.»
«Du bist immer so anders, wenn er da ist! Wo ist mein Arthur hin?»
«Ich kann dir nicht folgen.»
«Du bist ‚n beschissener Schoßhund. Gut, ich fand deine Liebelei zu Chase nicht prickelnd, aber da hast du wenigstens nicht geschnurrt, wenn er dich angefasst hat. Du bist wie ‚n verliebter Trottel aus den Telenovelas, die meine Großmutter guckt!»
«Jetzt mach‘ mal halblang.»
«Du kommst nicht jedes Wochenende mit. Du trinkst nicht mehr, um auf diese Spritnase aufzupassen, wenn er sich mal wieder abschießt und nicht auf dich hört. Bei Gott! Warum bist du so ‚n Softi geworden?»
«Sauer, weil ich deine Locken nicht mehr zurückhalte, wenn du kotzt?», fragte Art mit halb amüsiertem Ton nach.
«Letzte Woche wurde Tyrone vermöbelt. Und du warst nicht da!»
«Entschuldige bitte, Nelly», seufzte er, um das genervte Stöhnen zu vermeiden.
«Das bist nicht du, Brah. Du bist kein Babysitter, ok? Lass den Kleinen Disneyfilme gucken und mach, was Erwachsene an Wochenenden tun.»
«Ich lass‘ mir von dir keine Vorschriften machen.»
«Ich verfluche diese Wette so sehr. So, so sehr, Art. Vielleicht is‘ Jeanie gut im Bett, aber glaub mir, du findest jemand anderen. Jemanden, der zu dir passt.»
«Das ist … Tz.» Er schüttelte fassungslos den Kopf. «Willst du mir gerade meine Beziehung ausreden? Die erste richtige, die ich habe?»
«Es geht mir um dich, Art!»
«Ja, komm, verkneif dir das einfach.»
«Das mit ihm geht nicht lange gut. Ich verschwör’s dir. Das hält keine drei Jahre.»
«Dann merk ich das noch immer früh genug», hielt er dagegen und griff nach der Türklinke, um zurück ins Wohnzimmer zu gehen.
«Ich vermisse einfach nur die Zeit, die wir zusammen hatten.»
«Ich verschwinde nicht von der Bildfläche, Nelly. Nur, weil ich ausziehe. Ich bin immer noch hier. Wir sind Freunde. Brüder für’s Leben. Ich fühl mich wohl bei ihm, mit ihm. Oder soll ich mich an dich kuscheln, weil mir grad danach ist?», fragte er und schaffte es, Darnell ein amüsiertes Schnauben abzuringen.
«Verkneif es dir bitte.»
«Ich brauch das. Lass es mir.»
«Ich hätte dich nie für nähebedürftig gehalten.»
«Wusste nicht, dass ich das in dem Ausmaß nötig habe.»
Erst die Nächte und die Vertrautheit, die er mit Jean teilte, hatte ihm gezeigt, dass Intimität nicht immer bedeutet, sich nackt und stöhnend in den Laken zu wälzen. Vorher hatte er sich das, was er brauchte, von One-Night-Stands geholt und sich sporadisch kurzen Beziehungen hingegeben, die ihm aber nie das boten, was er jetzt hatte.
Sicher veränderte es einen Menschen. Aber er fühlte sich so unglaublich gut, warum sollte er das verstecken? Er posaunte es nicht in die Welt, hielt nicht ständig Händchen oder hing ununterbrochen an ihm. Das war nicht sein Stil. Warum durfte er nicht offen zeigen, dass es ihm guttat, was er hatte? Das machte ihn nicht zu einem anderen, rüttelte nicht an seiner Position oder seinem Auftreten. Verbog seinen Charakter nicht. Er warf noch immer nicht mit rosa Herzen um sich, ließ ihn nicht überkorrekt werden und bei jeder orangenen Ampel halten.
Es ließ ihn bloß mit einem Lächeln aufstehen; machte ihn zufriedener, als er es sonst war, und weniger zynisch oder brutal direkt.
«Wenn du das den Jungs erzählst …»
«Was dann? Was soll passieren? Sie wissen von Jean. Schon so verflucht lange. Seitdem ich mit ihm aus dem Club verschwunden bin. Scheiße, sie wussten sogar, was zwischen uns passiert ist, weil es ‚ne beschissene Wette war. Warum sollte ich irgendwas vor euch verheimlichen?»
«Du sollst keinen Fehler machen.»
«Dann hab ich den schon gemacht.»